Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin und des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) wollen gemeinsam herausfinden, wie die eigene Sprache davon abhängt, in welcher Situation wir uns befinden und zu wem wir sprechen.
Der neue Sonderforschungsbereich SFB 1412 „Register: Situationelle und funktionale Aspekte sprachlichen Wissens“ ist vorerst auf vier Jahre angelegt. Geldgeber ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Sie finanziert das Projekt mit acht Millionen Euro. Start ist Januar 2020. Von den insgesamt 15 Teilprojekten sind vier am Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) angesiedelt: “Speaker’s choices in a creole context" (Krifka und Veenstra), “Modelling meaning-driven register variation” (Sauerland und Solt), “Register in the development of periphrasis in the history of English" (Alexiadou und McFadden) und “Variation in Situated Interaction” (Jannedy).
Dass wir mit Vorgesetzten anders sprechen als mit Kollegen, mit Freunden anders als mit Nachbarn ist bekannt. So bedeuten „Ich bin sauer.“ und „Ich bin verärgert.“ im Prinzip dasselbe, aber je nachdem mit wem wir sprechen, sagen wir entweder „sauer“ oder „verärgert“. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es nicht nur Wörter sind, die sich unterscheiden. Vielmehr glauben sie, dass wir je nach Situation auch unterschiedliche Satzstrukturen und vereinzelt auch unterschiedliche Laute verwenden.
So sprechen Jugendliche untereinander oft sogenanntes „Kiezdeutsch“ und sagen „isch“ statt „ich“. Dass diese Lautvariante nicht zwangsläufig mangelndes Sprachvermögen ist, zeigt sich daran, dass sie in anderen Situationen (zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen) durchaus in der Lage sind, das Pronomen richtig auszusprechen.
Auch wurden Standardsprache und Umgangssprache bisher als verschiedene Sprachsysteme angesehen. Die Wissenschaftler in dem neuen Projekt gehen jedoch davon aus, dass all die verschiedenen Varianten Teil eines einzigen Sprachsystems sind. Sie nehmen an, dass sich Regeln definieren lassen, in welcher Situation wir wie sprechen.
Dass die Unterschiede nicht unbedingt etwas mit Umgangssprache oder Standardsprache zu tun haben, sieht man beispielsweise an Zeitangaben. Wie exakt eine Zeitangabe gemacht wird, kann nämlich auch von Situation zu Situation unterschiedlich sein: Wenn ein Freund mich am Zug abholen will, ist es normal zu sagen, dass der Zug um 7:53 Uhr ankommt. Will ich hingegen mitteilen, ab wann ich in der Stadt bin, sage ich eher, dass der Zug um acht Uhr ankommt. Die exakte Zeitangabe 7:53 Uhr wäre hier ungewöhnlich. Trotzdem sind beide Äußerungen im herkömmlichen Sinne Umgangssprache.
Offensichtlich lernen wir in unserer Sprachentwicklung nicht nur die Bedeutung von Wörtern und wie man sie sinnvoll kombinieren kann, sondern auch in welcher Situation wir wie sprechen sollten, um nicht aufzufallen oder gerade um aufzufallen. Das Projekt wird untersuchen, wie die Regeln dafür aussehen und wie die Grammatik um diese Regeln ergänzt werden kann.
Sprecherin des Sonderforschungsbereichs wird Prof. Dr. Anke Lüdeling vom Institut der deutschen Sprache und Linguistik an der HU Berlin. Vize-Sprecherin wird Frau Prof. Dr. Artemis Alexiadou vom Institut für Anglistik und Amerikanistik. Artemis Alexiadou ist zudem Stellvertretende Direktorin des Leibniz-Zentrums Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS) Berlin.
Kontakt zu den Wissenschaftlern am ZAS erhalten Sie auf Wunsch von der Pressestelle des ZAS.
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Dr. Fabienne Salfner
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